Montag, 27. Juni 2016

Muskathlon in Uganda Tag Sechs

Heute ist es ein langer Post geworden, aber der Tag war auch lang! Ich erinnere euch nochmal an die Videos von Compassion, die ihr auf Facebook findet. Vom Muskathlontag an sich findet ihr auch bei YouTube diverse Videos, die sich lohnen! :)

Es ist 23:30. Der Wecker klingelt. Normalerweise würde ich um diese Zeit eher erst ins Bett gehen, heute ist es Zeit zum Aufstehen. Ich bin müde und drehe mich nochmal um, verziehe das Gesicht. Muss ich wirklich schon aufstehen? Moment... JA! Heute findet endlich der tatsächliche Muskathlon statt! Das heißt 60 Kilometer liegen vor mir. Vielleicht bleibe ich doch lieber liegen... Tobias regt sich auch langsam. Er macht den Wecker aus. Haha, prima. Nein, ich will aufstehen und loslegen! 
Wir ziehen uns an, ich flechte mir Zöpfe, dass die Haare den Tag über gebändigt sind und die Füße werden mit Blasenpflastern vorbereitet. 
Ganz früh am nächsten Tag, um kurz nach 0:00 Uhr gehen wir zum Nudel- und Kartoffelbuffet. Viel Hunger haben wir nicht, aber wir brauchen Kraft für den Lauf. 
Beim Essen treffen wir Tino, der sich mit einem Restaurantangestellten unterhält. Durch das Gespräch werden wir noch ein bisschen fitter. 
Um 01:20 sind wir nun wirklich wach. Wir treffen uns mit den anderen, die 60 Kilometer gehen wollen und machen uns auf zum Startfeld. 
Im Vorfeld hatte ich ein bisschen Angst, dass wir im dunklen Uganda mitten in der Nacht allein unterwegs sein könnten. Darum hätte ich mir wirklich keine Gedanken machen müssen. Als wir auf dem Gelände ankommen, warten bereits 500 Ugander, die auch mitgehen wollen. Hier herrscht auch schon Partystimmung. Die ganze Nacht haben wir schon bis zu unserer Unterkunft die Musik gehört. Die typischen, spitzen, weißen Partyzelte sind aufgebaut und der Platz ist beleuchtet. 
Wir sitzen auf unseren Plastikgartenstühlen und warten darauf, dass es 2:00 wird. Es gibt noch einen kurzen Input, davon bekomme ich allerdings nicht viel mit. Ich überlege und bete, wie die nächsten Stunden wohl werden. Wir beschließen, dass es doch so warm ist, dass wir unsere Jacken gar nicht mitnehmen müssen. Kurz darauf versammeln wir uns vor der Startlinie. 21 Wanderer aus Europa sind wir, ausgerüstet mit Wanderschuhen, Teleskopstöcken, Stirnlampen und atmungsaktiver Kleidung.  Zwischen den Ugandern, die in Alltagskleidung und teilweise in Flipflops oder ohne Schuhe antreten, fühle ich mich ein bisschen unwohl. Aber viel Zeit zum Nachdenken habe ich nicht, wir zählen von 10 auf 0 und durch einen Goldregen zum Startschuss laufen wir los. Beziehungsweise, wir werden geschoben. Vorne geht es nicht schneller, überholen können wir nicht, Stöcke benutzen? Fehlanzeige, viel zu eng. Ich finde mich ziemlich schnell damit ab, dass wir uns erstmal mit dem Strom treiben lassen müssen, plaudere mal hier, mal da. Plötzlich habe ich drei ugandische Teenager an meiner Seite, die die komplette erste Runde mit mir gehen! Meine Stöcke finden sie besonders lustig, hier benutzen nur alte Menschen einen Stock zum Gehen. Ohne Stirnlampe wäre es stockdunkel, auf diesem unebenen Boden gibt es einige Stolperfallen, daher bin ich auch über meine Stöcke froh. Mit den Mädchen habe ich gute Gespräche und ich traue mich Fragen zu stellen, die ich Erwachsenen vielleicht nicht gestellt hätte. Eine von ihnen ist im Compassion Projekt, die anderen beiden nicht. Wir diskutieren über Reichtum und Gerechtigkeit (und ich lerne ganz viel Gelassenheit von den Teenies), klären die Frage, ob ich einheimischen Kindern mit gutem Gewissen winken kann (ja!) und versuchen ein bisschen zusammen zu singen.
Alle drei Kilometer gibt es einen Waterpoint. Hier gibt es ein Dixi-Klo (:D), Wasserflaschen, isotonische Getränke, Bananen und Schwämme, mit denen man sich abkühlen kann. Beim ersten Waterpoint gehen wir schnell vorbei, das Feld entzerrt sich ein bisschen und wir können nun unser Tempo laufen. Es geht meistens entweder bergauf oder bergab, auf gerader Strecke laufen wir selten, eigentlich nur, als es durch die Stadt Kabale geht. Sonst geht es durch kleinere Dörfer, durch einen Steinbruch oder einfach auf Staubwegen entlang. In den Dörfern sind alle Menschen wach, sie warten schon auf uns. Die Pfarrer stehen im Talar mit allen Gemeindemitgliedern vor den Kirchen, viele haben ein Compassionprojekt. Die Menschen empfangen uns mit Musik und Gesang, segnen uns, rufen uns Danke zu und winken uns mit Baumzweigen zu. Was für ein Fest!
Unseren ersten Stopp haben wir bei KM 15, ich muss auf die Toilette und wir essen ein paar Bananenstückchen. Immerhin sind wir auch schon drei Stunden unterwegs. 
Die letzten acht Kilometer der 21km Runde gehen bergauf durch den Steinbruch. Brutal! Jetzt in der Nacht ist hier niemand außer uns Wanderern. Tobias und ich laufen im gleichen Tempo wie Raphael aus dem Schweizer Team, also beschließen wir, gemeinsam zu gehen. Außerdem die drei Mädchen, die mit mir laufen wollen und gut Schritt halten. 
Wir haben nach der ersten Runde einen guten Schnitt von 5km/h. Damit sind wir sehr zufrieden. Wir entscheiden uns dafür, die Strecke der Biker zu gehen, diese fahren die normale 21km Runde und hängen dann eine 9km Schlaufe dran, die die Marathonläufer nicht laufen, für Wanderer ist sie offen. Am Ende werden wir dann 60km haben und 600 Höhenmeter weniger. Mit diesem Profil können wir den Lauf schaffen, kalkulieren wir. Wir haben nämlich nicht wie geplant um 0.00 gestartet, sondern zwei Stunden später. Dies hat uns ein wenig aus unserem Plan gebracht, wir rechnen bis jetzt, dass wir 14 oder 15 Stunden brauchen, sollen aber um 15 Uhr fertig sein. Knackig! 


Meine drei neuen Freundinnen begleiten uns jetzt nicht mehr, ab Kilometer 21 sind wir zu dritt unterwegs. Hier auf der Schlaufe sind wir anscheinend die ersten, die Menschen, die hier an der Strecke wohnen, sind doch etwas verwundert, uns zu sehen. Außerdem ist die Beschilderung nicht mehr jeden Kilometer, sondern erst nach 4,5 Kilometern, wo auch der einzige Waterpoint ist, ist das Zeichen zum Umdrehen. Daher fragen wir uns zwischendurch, ob wir auf dem richtigen Weg sind und ob wir einen Wegweiser übersehen haben. Aber wir haben alles richtig gemacht und gut gefunden :) 
Durch die Schlaufe haben wir einen super Blick auf den Bunyonyi See, den wir sonst nicht gehabt hätten. Als wir dort sind, geht auch gerade die Sonne auf. Eine schöne Morgendämmerung nach knapp 30 Kilometern. Und wir fühlen uns noch ziemlich fit. Auf geht's also in die zweite Hälfte. Meinen Rucksack lasse ich am Startfeld, mein Camelback (Wasserblase) ist sowieso leer. Da wir an unserem Resort vorbei laufen, bringen wir ihn kurz ins Zimmer und nutzen den Luxus einer Toilette in Privatsphäre. 



Auf geht es also in die zweite Hälfte, ca. um 8:30. Ganz genau weiß ich die Zeiten nicht mehr. Wir laufen* weiter, zu dritt. (* bei mir heißt übrigens alles laufen, was ich mit den Beinen mache. Ich weiß, dass das nicht überall in Deutschland so ist. Wenn ich laufen sage, dann meine ich wandern oder gehen! Wenn ich joggen meine, also das, was die Marathonläufer gemacht haben, dann schreibe ich joggen ;) ) Bis jetzt geht es uns sehr gut, haben wir dem Arzt am Startfeld versichert. Und es ist auch so. Dafür, dass wir schon eine komplette Tagestour hinter uns haben und es erst früher morgen ist, geht es uns wirklich gut. 
Es ist spannend, nun die Route im Tageslicht zu gehen. Den Weg durch die Dörfer genießen wir sehr, es ist landschaftlich wunderschön, wir haben durch unsere Höhenlage tolle Ausblicke und die Menschen sind freundlich. Kinder aus dem Dorf schließen sich uns an, laufen teilweise Kilometer weit mit uns. Ich klemme meine Stöcke unter den Arm und nehme die Kinder an die Hand. Kommunikation ist weder möglich noch nötig, wir laufen einfach gemeinsam. In diesem Moment weiß ich, warum ich das alles mache, denn ich laufe genau für diese Kinder, die gerade an meiner Hand sind und mir ab und zu verstohlene Blicke zuwerfen oder vorsichtig meinen Arm streicheln. Kinder, die keine Hoffnung haben, aus der Spirale der Armut ausbrechen zu können, weil sie am "falschen" Ort auf die Welt geboren wurden. 

Auf dem Bild oben seht ihr mich nach knapp 50 Kilometern. Da war ich dann schon ziemlich am Ende meiner Kräfte und ich zeige auf den Weg, wo wir herkamen. Das ist der 8km lange Anstieg. 
Ich habe ernsthaft mit mir gerungen, ob ich bei Kilometer 51 im Ziel bleiben soll, oder ob ich mit Tobias die letzten 9 Kilometer noch laufen soll. Ich hatte wirklich keine Lust mehr. Aber "aufgeben" hätte sich nicht richtig angefühlt. Ich hatte das Gefühl, wenn ich jetzt nicht die letzten 9 Kilometer weitergehe, hätte ich daheim bleiben sollen. Denn die Menschen hier haben keine Wahl. Ich schon. Und ich wollte mich dafür entscheiden, zu kämpfen. Das war meine persönliche Entscheidung und mein persönliches Empfinden. In dem allen ging es nicht um die Leistung an sich oder um die beste Zeit. Einige sind weniger gelaufen, als sie eigentlich geplant hatten und das ist auch gut und ok so. Aber für mich war es nicht richtig. Ich hatte die Kraft, nur nicht die Motivation, aber ich wollte bereit sein, ALLES zu geben. 

Und Gott hat mich die letzten Kilometer getragen, das kann ich wirklich sagen. Jeder Schritt war Anstrengung und bei jedem Schritt musste ich mich überreden, meinen Fuß hochzuheben. Ich wollte am liebsten einfach hinsetzen und warten, dass mich jemand vom Team abholt. Tobias hatte einen ähnlichen Durchhänger, den wir auch auf Video aufgezeichnet haben, aber das ist zu privat, das ist nur für uns :) Das war 4 Kilometer vor dem Ziel und ich dachte ich werde gleich verrückt. 

Aber: wir haben es tatsächlich geschafft! 60km in genau 13 Stunden! Kurz vor dem Zieleinlauf haben wir unsere ugandische Flagge ausgepackt, als Zeichen, dass wir für Uganda und für Gott, den König, der die ganze Welt in seiner Hand hält, gelaufen sind.


Kurz nach dem Bild wurden wir in den Arm genommen, gedrückt, haben unsere Medaillen bekommen und wurden gut versorgt mit Cola :D Bananen konnte ich einfach nicht mehr sehen.


Ich war so unendlich erleichtert und glücklich, aber auch einfach fix und fertig. Die beiden Bilder oben und unten fangen diesen besonderen Moment ganz gut ein. "Fertig wie ein Lachsbrot" sei ich, hat unser lieber Freund Andi (auch mit Blog) gesagt :) Recht hatte er!



 

Mit diesen zwei Mädels bin ich die erste Runde gelaufen: Esther (14) und Mable (17).


Am Abend hatten wir noch eine kleine Party mit allen Muskathleten in einem Pavillon, der zum Hotel der Holländer gehört. Dort hat man einen fantastischen Blick und es war eigentlich eine schöne Idee, aber mittlerweile waren Tobias und ich schon 20 Stunden wach, davon sind wir 13 Stunden gewandert und wir waren einfach nur müde. Ich war froh, als es wieder "heim" zu unserem Resort ging und wir ins Bett fallen konnten. 

Love,
Anni


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